
Überschrieben mit dem Titel „Antifaschistisch erinnern! Aktionstage zum 80. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands“, finden ab dem 07.April 2025 nun verschiedene Veranstaltungen statt.
Die VVN-BdA Leipzig e.V. will damit einen Beitrag leisten zu einem breiten kritischen Gedenken und der Vernetzung von unterschiedlichen Gruppen. Es geht uns darum die Bedeutung des 8.Mai als Gedenk-, Bildungs- und Feiertag zu unterstreichen.
Hierzu aus dem Grundlagentext zu den Aktionstagen:
„Am 8. Mai 1945 kapitulierten die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten bedingungslos.
Dieser Tag steht somit synonym für die militärische Zerschlagung des deutschen Faschismus, für die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit der besetzten Gebiete Europas und für die Befreiung der abertausenden in Konzentrationslagern, Zuchthäusern, Arbeitserziehungslagern oder Tötungsanstalten eingesperrten Menschen. Sie und die Millionen Männer, Frauen und Kinder, die aus der ganzen Welt zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet deportiert wurden, konnten auf eine bessere Zukunft hoffen. Ein Teil von ihnen würde zu ihren Familien und in ihre Heimat zurückkehren. Für all die Verfolgten und Vertriebenen, für all die, die in den Wäldern und Bergen oder im Untergrund in ganz Europa als Partisan:innen oder Angehörige der alliierten Armeen aktiven Widerstand gegen die faschistischen Besatzungstruppen leisteten, steht der 8.Mai als Tag der Befreiung und Tag der Freude.
Selbst im Moment des Zusammenbruchs der faschistischen Herrschaft fanden sich jedoch noch willige Kämpfer aus SS, Hitlerjugend, Volkssturm und der Zivilbevölkerung, die eine zentrale Rolle bei den sogenannten Kriegsendphaseverbrechen spielten. Es gab Massenerschießungen, wie die der 52 Inhaftierten in Lindenthal am 12. April 1945. Entlang der Routen der Todesmärsche aus Leipzig Richtung Osten finden sich unzählige Massengräber derer, die nach jahrelanger Verfolgung und Ausbeutung die letzten Tage bis zur Befreiung nicht mehr überlebten.
Am 18. April 1945 erreichten US-amerikanische Truppen Leipzig von Westen kommend und wurden am Felsenkeller von Jugendlichen des Volkssturms attackiert, etwa zeitgleich setzten SS und Volkssturm in Abtnaundorf im Leipziger Nordosten eine Baracke mit ca. 300 KZ-Häftlingen des Lagers Thekla in Brand. Die Häftlinge waren zu schwach für den Todesmarsch. Die Zahl der Opfer dieses Massakers ist bis heute ungeklärt. Die Gebeine von 84 Männern wurden später auf dem Südfriedhof beigesetzt, mindestens 67 Häftlinge überlebten. Der deutsche Vernichtungswille war ungebrochen.
Ein Großteil der deutschen Bevölkerung, der vom Faschismus profitiert hatte oder in ihm sozialisiert und aufgewachsen war, versuchte nach 1945 Gras über die Geschichte wachsen zu lassen. Konsequenzen aus den Naziverbrechen wurden kaum gezogen, eine Entnazifizierung fand nie wirklich statt. Sowohl in der BRD als auch in der selbst erklärten antifaschistischen DDR war es hochrangigen Tätern möglich, unbehelligt weiterzuleben.
So etwa der Verfahrenstechniker Günther Adolphi aus Merseburg: Eine Ladung als Zeuge in einem IG Farben Prozess 1956 nach Frankfurt am Main lehnte Adolphi ab, auch bei der Vernehmung durch das MfS verweigerte er die Aussage. Und das obwohl er zwischen 1943 und 1945 die rechte Hand der Betriebsführung im IG Farben Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz war. Zeitgleich mit ihm verlegten ca. 1.000 Angestellte der Leuna -Werke ihren Wohnsitz für zwei Jahre in unmittelbare Nähe der Lager in Auschwitz und kehrten 1945 als unbescholtene Bürger:innen zurück, auch sie konnten ihre Karrieren fortsetzen.
Günther Adolphi wurde 1961 zum Direktor des Instituts für Verfahrenstechnik an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg berufen. Im Jahr 2014 wurde ihm sogar eine Straße am Campus gewidmet. Erst 2019 nach Protesten unter anderem des Internationalen Auschwitz Komitees wurde die Würdigung zurückgezogen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie geschichtsvergessen auch heute noch gehandelt wird.
Eine Auseinandersetzung mit Täterbiographien in den Familien und eine tiefgreifende gesellschaftliche Aufarbeitung gab es kaum. Während in der DDR lediglich die als politisch Verfolgten eine breite Anerkennung fanden, blieben in der BRD die Kontinuitäten gänzlich ungebrochen. Unter dem Schlagwort „Stunde Null“ taten deutsche Täter:innen und Profiteure so, als wären in den vergangenen zwölf Jahren nicht Millionen ihrer Nachbar:innen verschwunden, ihre Wohnungen, Häuser und Geschäfte geraubt, eigene Verwandte als „unwertes Leben“ getötet worden, aus den besetzten Gebieten in ganz Europa alles geraubt und auch die Menschen dort vernichtet oder deportiert worden.
Menschen, die von den Faschist:innen verfolgt und ermordet wurden, mussten hingegen jahrzehntelang um Anerkennung und Wiedergutmachung kämpfen. Erst 1982 wurde der Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja offiziell anerkannt. Dazu bedurfte es des massiven Drucks durch die Bürgerrechtsbewegung, wie durch den öffentlichkeitswirksamen Hungerstreik von 1980 im ehemaligen KZ Dachau. Als „Asozial“ oder „Berufsverbrecher“ Verfolgte kämpfen auch heute noch um die Anerkennung als Verfolgte des Nationalsozialismus. Antiziganistische, sozialdarwinistische, rassistische und antisemitische Ressentiments sind ungebrochen salonfähig in der Gesellschaft. Sie sind noch immer und in den letzten Monaten wieder viel zu starker integraler Bestandteil der post-faschistischen, kapitalistischen deutschen Gesellschaft.
Die militärische Niederlage des deutschen Faschismus und seiner Verbündeten bietet den Nährboden für zahlreiche Opfermythen. Der alliierte Luftangriff auf Dresden am 13./14. Februar 1945 ist seit Jahrzehnten ein zentraler Gedenktag rechter Kräfte, ebenso der sogenannte „Tag der Ehre“ in Budapest, an dem sich SS-Fans und Wehrmachts-Cosplayer aus ganz Europa, unterstützt von der autoritären Orban-Regierung, treffen. Der Versuch der Neuen Rechten, die deutsche Vergangenheit zu „normalisieren“, zieht über die AfD weite Kreise und trägt zu einer Diskursverschiebung bei, in der der Ruf nach einem „Schlussstrich“ wieder zunehmend offen artikuliert werden kann. Der geschichtsrevisionistische Kurs der AfD – vom Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte, über die Forderung nach einer Gedenkstätte für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs, bis zu dem Wunsch, die eigenen „Vorfahren“ von der Mitschuld an den NS-Verbrechen reinzuwaschen – ist kein Hindernis für die bundesweiten Wahlerfolge der Partei, ganz im Gegenteil.
Die offizielle Geschichtspolitik und Erinnerungskultur besteht oft aus ritualisierten Reden an Gedenktagen, Kranzniederlegungen, dem Putzen von Stolpersteinen oder dem socialmedia-Output von #weremeber oder #niewieder. Und zugleich sehen wir gravierendes Unwissen über den Nationalsozialismus, den Faschismus und die Shoah, Porajmos und Euthanasie – in den Schulen genauso wie der Politik und in den Talkshows der großen Medien.
Eine lebendige, kritische Erinnerungskultur setzt Wissen und Auseinandersetzung voraus, stellt Fragen und richtet sich gegen vereinnahmende und relativierende Gleichsetzungen von NS-Verbrechen.
Der von einer rassistischen Migrationsdebatte und sozialdarwinistischer Hetze geprägte Bundestagswahlkampf hat gezeigt, wie virulent und abrufbar menschenfeindliche Einstellungen gesamtgesellschaftlich sind. Menschen werden wieder zu „Schmarotzern“ oder „Ballast für die Gesellschaft“ erklärt, die diese sich nicht mehr leisten könne. Gleiches gilt für den Antisemitismus, der als mehr oder weniger schlummerndes Ressentiment jederzeit wieder hervortreten kann. Das Erinnerungstheater zur Abstimmung am 29. Januar 2025 im Bundestag zeigt, dass die staatlich getragene Erinnerung an die Menschheitsverbrechen der Nazis durchaus vereinbar mit einer gemeinsamen Abstimmung der CDU mit der AfD ist. Gerade beim Blick in die Kommunalparlamente fällt vielerorts die bereits praktizierte Zusammenarbeit von Konservativen und neuen Faschisten auf – sei es bei der Ablehnung der Förderung von Kultur- und Sozialprojekten oder in der Verweigerung von finanzieller Unterstützung für Erinnerungspolitik und Bildungsarbeit.
Aber gerade jetzt, 80Jahre nach der Befreiung von faschistischer Vernichtung und Krieg, ist es nötiger denn je aus dem Erinnern auch Konsequenzen zu ziehen. In einer Welt, die sehenden Auges in den Untergang rennt und dabei von nationalistisch aufgehetzten Massen beklatscht wird, muss es die erste Aufgabe an Erziehung und Bildung, aber auch an jedes politische Handeln sein, die Strukturen, die die Menschheitsverbrechen erst ermöglichten anzugreifen. Es muss unserer aller Aufgabe werden, den kommenden Generationen eine Zukunft zu ermöglichen die mehr bietet als Ausbeutung zu Mindestlohn oder kämpfen für die Bundeswehr.
Unter dem Titel „ANTIFASCHISTISCH ERINNERN. Aktionstage zum 80. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands“ laden verschiedene antifaschistische Gruppen und emanzipatorische Initiativen zu Veranstaltungen und Aktionen ein.
Wir wollen gemeinsam an die Befreiung der durch die Nazis verfolgten und inhaftierten Menschen erinnern, uns mit der Kontinuität von NS-Ideologie in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzen, kritische Perspektiven auf Erinnerungskultur werfen und über antifaschistische Arbeit heute sprechen.
Dafür übernehmen wir für die nächsten Wochen die Webseite antifa-erinnern-le.de, die uns solidarischerweise durch das Kollektiv Antifaschistisches Erinnern LE zur Verfügung gestellt wurde.