Erinnerung zum 86.Jahrestag der Novemberpogrome

Am Sonntag, 10.11.2024 beteiligten wir uns am gemeinsamen Gedenken zum 86. Jahrestag der Novemberpogrome. Ein Dank an alle an der Organisation des würdevollen Gedenkens involvierten.

Im Folgenden findet ihr unsere vor ca. 200 Antifaschistinnen gehaltene Rede

„Hallo liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, Ich spreche heute für die VVN-BdA Leipzig e.V., also für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Die vergangene Woche wirkt wie ein dystopischer Fiebertraum… wenn man nicht ohnehin schon abgestumpft ist.

Dienstags: Die Wahlen in den USA, weitere vier Jahre Trump bedeuten finstere Zeiten. Vor allem für alle Frauen, Queere oder Transpersonen, people of color oder Migrantinnen, kurz für Alle, die nicht Trump und sein project2025 unterstützen.

Ebenfalls dienstags: Razzia und Festnahmen bei den Sächsischen Separatisten – kurz SS. AfD- Funktionäre und Andere bereiten sich für den Aufbau eines faschistischen Sachsens vor. Unter den Festgenommen auch zwei junge Männer aus Brandis.

Mittwochs: das Aus der Koalitionsverhandlungen in Sachsen, die für Antifaschistinnen, Linke und Antirassistinnen ohnehin schon nichts Gutes versprachen, es folgt  weitere Normalisierung der AfD durch Gespräche von Micheal Kretschmer mit Jörg Urban.

Ebenfalls mittwochs:  Das Aus der Ampel; Olaf Scholz findet plötzlich und unerwartet sein letztes Stückchen Rückgrat wieder und entlässt Finanzminister Lindner, seither Wahlkampfmodus bei allen Parteien.

Und jeden Tag der Woche Krieg. Krieg im Sudan, Krieg in der Ukraine und in Israel, Krieg Gaza und im Nahen Osten. Krieg In Kurdistan und vielen Orten mehr… mit tausenden Verletzten, Getöteten und Vertriebenen.

Über all diese Themen habt ihr in den letzten Tagen bestimmt alle viel gesprochen oder nachgedacht.

Ich möchte jedoch das Erinnern anlässlich des 86. Jahrestages der Novemberpogrome nutzen, um euch davon zu erzählen, was meine vergangene Woche ausgemacht hat.

Als gedenkstättenpädagogische Fachkraft begleitete ich in der vergangenen Woche die Bildungsreise von 30 16-jährigen Schülerinnen und Schülern des Gymnasium Brandis. Eben jenes Brandis aus dem der Kern der Sächsischen Separatisten stammt.

Ziel der Reise war das polnische Oświęcim, dessen deutscher Name „Auschwitz“ synonym für den industriellen Massenmord an Millionen von Menschen, die als Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma oder aus anderen Gründen verfolgt wurden, steht.

Die Schülerinnen nahmen freiwillig an der Bildungsreise Teil mit der Motivation das im Unterricht behandelte zu vertiefen. Sie wollten am authentischen Ort mit allen Sinnen versuchen zu verstehen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie ihr Gegenüber entmenschlichen.

Im Zuge der Novemberpogrome wurden tausende Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen attackiert, als jüdisch Verfolgte Menschen wurden verhaftet, gefoltert und gedemütigt. Allein aus Leipzig wurden 350 in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Die Pogrome waren ein zentraler Schritt hin zum antisemitisch motivierten Massenmord.

Die Gedenkstätten am Ort der ehemaligen Lager in Auschwitz I, Auschwitz-Birkenau und Auschwitz III – Monowitz zeichnen diesen Völkermord nach.

Sie versuchen ihn greifbar, oder begreifbar zu machen, falls dies überhaupt möglich ist. Vitrinen voll mit den Haaren der Ermordeten, mit den Koffern der Menschen, die dachten sie werden lediglich umgesiedelt, abertausende Schuhe und Brillen, Prothesen und Gehhilfen der Alten und als „nicht-arbeitsfähig“ ermordeten.

Der Gang eines Blockes mit den Fotos derer die registriert wurden. Erkennungsdienstliche Fotos von tausenden. In Ihren Augen entweder Leere, Angst oder wütender Trotz… bei allen die Gewissheit sie überlebten nur wenige Wochen.

Sie wurden zu Grunde gerichtet, weil man ihnen das Lebensrecht absprach.

Sie wurden ermordet durch die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager, die ständige Mangelernährung und Kälte oder sie wurden von den SS- Männern oder Capos erschlagen.

Anscheinend müssen die Menschen all dies sehen, um zu verstehen, dass hinter jedem/ jeder Ermordeten ein ganzes Leben steht. Ein Mensch mit Träumen, Wünschen, Freundinnen, Interessen, Ängsten und Zukunftsplänen. Das war früher so und das ist auch heute so.

Lasst uns gemeinsam jedweder Form von Entmenschlichung und Verachtung des Wertes jedes einzelnen Lebens entgegentreten.

Die Shoa, der Holocaust werden in den Schulen thematisiert, es gibt Filme, Veranstaltungen, Gedenktage wie heute… diese reichen jedoch nicht aus oder erreichen immer nur einen Bruchteil der Gesellschaft

Wir als Antifaschistinnen, wir als Linke, müssen raus aus der Komfortzone, lasst uns ganz im Sinne Adornos in“ Erziehungskolonnen auf das Land fahren“ und die Zivilgesellschaft dort unterstützen.

Lasst uns Erinnerungsarbeit leisten, die den Verfolgten und Ermordeten gedenkt, Kontinuitäten aufzeigt, Profitierende benennt und antikapitalistische Perspektiven formuliert.

Lassen wir die jungen (und auch die älteren) Leute auf dem Land nicht im Stich, die etwas anderes wollen als die Barbarei.“