In den Diskussionen rund um den Krieg in der Ukraine zerstreiten sich derzeit viele linke Bündnisse, Parteien, Organisationen und Freundschaften.
Auch innerhalb der Mitgliedschaft der VVN-BdA Leipzig gibt es zum Thema unterschiedliche Positionen. In einer Organisation mit jahrzehntelanger Geschichte und Mitgliedern mit verschiedener Sozialisation sowie unterschiedlichsten politischen Hintergründen wie es die VVN-BdA nun einmal ist gehören Differenzen zum Alltag.
Um eine gemeinsame Arbeitsbasis zu haben schließen wir uns der Erklärung der Kamerad:innen, Genoss:innen und Freund:innen der Berliner VVN-BdA an, welche wir im Folgenden dokumentieren:
„… Die Schützengräben, die die internationale Politik ausgehoben hat, müssen wir als Antifaschist*innen eben nicht besetzen.
Die VVN-BdA ist eine antifaschistische, überparteiliche generationsübergreifende und unabhängige Organisation. Dementsprechend unterschiedlich und kontrovers fallen auch die Bewertungen des russischen Angriffskriegs und die Positionierungen dazu und die Fragen, wie unser antimilitaristisches und friedenspolitisches Engagement auszusehen hat, unter unseren Mitgliedern aus. Wir streiten uns heftig darüber, das ist durchaus eine Zerreißprobe.
Aber das ist angesichts der zunehmend bellizistischen Stimmung in Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit eigentlich eine große Chance um die vorherrschende Haltung, nur Waffenlieferungen könnten den brutalen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung, den völkerrechtswidrigen Angriff auf die souveräne Ukraine stoppen und ihr Recht auf Selbstverteidigung unterstützen, zu hinterfragen. Es ist eine Chance um gemeinsam zu überlegen welche zivilen Alternativen und Verhandlungsoptionen es dazu geben könnte und dafür zu streiten und dafür Druck zu machen- auch für den sofortigen Rückzug des russischen Militärs aus der Ukraine. Die Schützengräben, die die internationale Politik ausgehoben hat, müssen wir als Antifaschist*innen eben nicht besetzen.
Unter dem gemeinsamen Dach des Antifaschismus könnten wir eine produktive Diskussion führen, die jahrzehntelangen Erfahrungen der Antikriegsbewegung mit den Erfahrungen und neuen Wissen der jüngeren sozialen Bewegungen zusammenführen.
Wir wissen: Der alleinige Bezug auf die „Realpolitik“ dabei nicht zielführend, ja fatal ist .Wenn Russland die Ukraine unwidersprochen militärisch besiegen kann, ist das eine Einladung an autoritäre Machthaber gegen Nachbarländer ähnlich vorzugehen, denken wir z.B. an die Türkei. Wenn Deutschland und die NATO hochmoderne Waffen liefern, führt das zu einem Abnutzungskrieg, an dessen Ende Hunderttausende, im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung Milliarden Menschen tot sind.
Wir können den Krieg nicht mehr verhindern, denn Millionen erleiden diesen Krieg bereits. Unsere Aufgabe besteht darin, sich zu vergegenwärtigen, wem unsere Empathie gelten muss – nämlich nicht den Nationalstaaten, sondern denjenigen, die unter dem russischen Überfall leiden: der Bevölkerung in zerschossenen ukrainischen Ortschaften, den geflohenen Kindern, den zwangsrekrutierten Soldat*innen auf beiden Seiten der Front. Nicht irgendwelche „legitimen Sicherheitsbedürfnisse“ Russlands, sondern die Schicksale derer, die in der Ukraine heute in Kellern ausharren, müssen Ausgangspunkt der Debatte sein. Nicht der geopolitische Vortrag vom Feldherr*innenhügel sondern Solidarität und Empathie und auch ganz realpolitisch humanitäre Hilfe ist gefragt.
Unabdingbar sind auch die Forderungen nach weiterhin großzügiger Aufnahme der ukrainischen und aller anderen Geflüchteten, dem Recht auf Asyl für alle Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen. Dem folgt auf dem Fuß, der Widerstand gegen weitere Waffenlieferungen, der Kampf gegen die rasante Aufrüstung und Militarisierung der deutschen Außenpolitik, das Hundert Milliarden Paket, nach sozialer Umverteilung der Krisenlasten, nicht nur im reichen Deutschland, gegen die drohenden Hungersnöte weltweit. Wir dürfen nicht zulassen, dass Umwelt- und Klimarettung ins Hintertreffen geraten.
Mit dieser Bündnisoption, einer sozialen Protestbewegung, die sich hinter progressiven und humanistischen Forderungen sammelt, haben wir Antifaschist*innen eine Chance, die Rechten herauszuhalten und herauszudrängen. Denn wenn Proteste in ihren Forderungen und Formulierungen von der rechten Mobilisierung klar unterscheidbar sind, wenn sozial-, friedens- , umweltpolitische antifaschistische Verknüpfungen angestrebt und ausgedrückt werden, dann sind Querfront und rechte Übernahmeversuche gar nicht so schwer zu verhindern. Der Traum der Elsässers, Kubitscheks und Höckes von der nationalistischen Massenbewegung wäre ausgeträumt.
Das zu bewirken ist unseres Erachtens auch eine der vorrangigen Aufgabe der VVN in der Zivilgesellschaft – der Kampf gegen neonazistische, faschistische Ideologie und politische Bewegung – „nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Dazu gehört das Aufzeigen, welche Positionen Rechtsextreme heute einnehmen und wo sich ihnen Möglichkeiten der Anschlussfähigkeit bieten. Deshalb betont die VVN-BdA immer wieder: „Die Tür nach rechts muss zu bleiben“ – eine Forderung gegen Querfrontbestrebungen, die sich insbesondere im Umfeld der Friedensbewegung seit gut zehn Jahren zeigen. Seither kämpft die VVN dagegen an – wir greifen ein wo andere schweigen oder über Widersprüche hinweggehen, wir distanzieren uns, wo nötig, von Aktionen und Kundgebungen, wenn diese rechtsoffen gestaltet werden. Das ist unser originärer Beitrag zum Kampf gegen Krieg und Militarisierung für den Frieden, aber eben nicht unserer einziger.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Der Vorstand der Berliner VVN-BdA e.V.. 20.02.2023″