Sie wissen nicht wer Lauter ist? Hier wird uns Prof. Hans Lauter, ein Arbeiterjunge, Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, Parteiarbeiter, Funktionär, Hochschullehrer, Mahner gegen die Gefahr von rechts in unserem neuen Deutschland, gemeinsam mit Esther Bejarano Ehrenvorsitzender der VVN-BdA, auf eine einfühlsame und sehr private Art vorgestellt.
Wie der zitierte Hinweis eines Wärters im Zuchthaus Waldheim 1936 zeigt, hat preußische Akkuratesse bereits dem jungen Hans Lauter Lob eingebracht. Diese Akkuratesse hat ihm in seinem langen Leben (1914 – 2012) oft geholfen und auch Achtung und Bewunderung eingebracht.
In der Reihe „Lebenszeichen“ der Gruppe schreibender Seniorinnen und Senioren Leipzig ist im Verlag OsirisDruck eine ungewöhnliche Annäherung an eine besondere Persönlichkeit von seinem Schwiegersohn Michael-Alexander Lauter erschienen.
Wie schon der Untertitel des Heftes verrät, spielt der runde Küchentisch der Lauters die Rolle als „Kristallisationspunkt“, um Hans zu seinem Leben zu befragen bzw. ihn erzählen zu lassen. Die Intimität des Ortes führt auch dazu, daß der Leser sich manchmal wie ein Voyeur vorkommt.
Michael Lauter legt hier ein lesenswertes Heft zu Hans Lauter vor, das sich schwer in eine Kategorie einordnen läßt. Am nächsten kommt man dem Buch, wenn man es dokumentarische Belletristik nennt. Die Lektüre ist für jeden politisch Interessierten ein Gewinn, zumal der Autor seinen Plauderton durchhält und jede Seite neue überraschende Informationen liefert. Auch für mich, der ich Hans Lauter viele Jahren kannte und sogar mit seiner Unterstützung einen Besuch im Moorlager im Emsland organisiert habe, gibt es manche Neuigkeit. Wie oft habe ich selbst das „Nu warte mal“ von Hans am Lauterschen Küchentisch gehört, dem sich dann ganz sicher eine spannende Geschichte anschloß – nicht zu vergessen auch seine Gabe, historische Ereignisse mit einem Bezug zum Hier und Heute darzustellen.
Ganz persönlich ist auch das Buchcover: es zeigt den Hauseingang von Hans Lauters letzter Wohnung, mit Michas Fahrrad davor.
Andere Publikationen, die sich dem Leben des aufrechten Antifaschisten widmen, waren verstärkt aus dem Blickwinkel der Ehrfurcht vor dem kleine Großen geschrieben – obwohl Heroisierung nie sein Ding war.
Startpunkt der Erzählung ist die Umsiedelung von Hans Lauter von Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt, zu Ilse und Micha Lauter nach Leipzig Grünau. Dort konnte man ihn als lebensfrohen, gewitzten, aufrechten und engagierten Menschen kennenlernen. Manchmal hatte man die Chance, ihn auf dem Weg zum Mittagessen in „sein Bistro“ gegenüber der Wohnung zu sehen, klein, drahtig, auffallend akkurat gekleidet.
„Ich habe viele Beulen an meinem Hut. Die wenigsten sind vom Gegner“, hat der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski einmal gesagt, und das trifft in erschütterndem Maße auch auf Hans Lauter zu. Dabei: Rückschläge waren für ihn nie ein Anlaß, zu klagen.
Was sich die Nazis sicherlich nie so gedacht hatten: Die Inhaftierung von Hans in den 1930-er Jahren beförderte bei ihm den Wunsch, sich weiterzubilden. Das Konzept zur Besserung von Häftlingen durch Lernen und (Um-) Erziehung stachelte seinen Ehrgeiz an, in die Tiefen der Mathematik vorzudringen und „zur Entspannung“ sich die Stenografie im Selbststudium anzueignen. Die Zuchthausbibliothek lieferte dafür die entsprechenden Bücher. Bei seinem Mathe-Studium bekam Hans Unterstützung von einem kriminellen Mithäftling, einem Geldfälscher. Später sollte es viele Gelegenheiten geben, die Steno-Kenntnisse geschickt einzusetzen: Ein Vorlesungsmanuskript in Steno war der beste Kopierschutz, wer konnte da „spicken“?
Hans, ein passionierter Briefeschreiber, korrespondierte bis ins hohe Alter mit Familie, Freunden, Weggefährten. Selbst zu Schülern, in deren Kreis er oft als Zeitzeuge des Faschismus auftrat, wendeten sich an ihn mit Anfragen – und jeder Brief wurde gewissenhaft beantwortet.
Zeit seines Lebens war Hans Lauter an Sport interessiert, als Jugendlicher mit besonderer Vorliebe für Fußball und Skilaufen. Fußball verfolgte er später als Zuschauer, auf Skiern war er bis ins Alter unterwegs. Ganz sicher spielte dieser lebenslange Drang nach sportlicher Betätigung eine große Rolle für die erstaunliche Kondition von Hans, geistig und körperlich.
Die geistige Frische konnte man oftmals bewundern, wenn Hans mit Pathos seitenweise aus dem „Faust“ oder „Nathan“ zitierte. Das ist eine Fähigkeit, die ich oft schon bei antifaschistischen Widerstandskämpfern beobachten konnte. Zum Überleben in der Haft hat das Lernen langer Gedichte einen wichtigen Beitrag geleistet.
Große Aufläufe waren nicht das Ding von Hans Lauter, aber (nicht ganz zufällig) stand er Mal auf der Bühne vor Tausenden: gemeinsam mit Hannes Wader singt er am 30. April 2007 das Moorsoldatenlied zum Courage-Konzert zu Füßen des Leipziger Völkerschlachtdenkmals. Schließlich ist er zu dieser Zeit der letzte Leipziger Moorsoldat und damit Augen- und Ohrenzeuge der Bedingungen im Moor. (S. 54/55)
Hans Lauter war nicht nur ein überzeugter Antifaschist und Kommunist, sondern auch ein Familienmensch, dem unter anderem Weihnachtsrituale sehr wichtig waren. Er konnte seine erzgebirgische Heimat nicht lassen, ein Weihnachtsbaum mit richtigen Kerzen, dem Schwibbogen und Stollen mußten sein.
Hans Lauter ist im 98. Lebensjahr verstorben am 31.10.2012. Da kann man sich schon fragen, hat Hans die Nähe zum Wittenberger Reformator gesucht?
Hervorzuheben ist ein nützliches Beiwerk: neben einer Übersicht der Lebensdaten Hans Lauters findet sich ein Abkürzungsverzeichnis, das besonders für junge Leute sehr hilfreich ist.
Gustav Peinel
—————————————————————————————Michael-Alexander Lauter
Von einem, der im Zuchthaus Mathematik studierte
Gespräche mit Hans Lauter am runden Tisch
Osiris-Druck Leipzig, 2021
ISBN 978-3-949240-01-1
Preis: 2,80 €
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