Bisher unbekannte Fotografien aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain im Archiv des VVN-BdA e.V. Leipzig wieder entdeckt
Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz. Hier ermordeten die Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen. In deutscher Kriegsgefangenschaft kamen 3,3 von 5,7 Millionen sowjetische Soldaten zu Tode – das war Teil des Vernichtungskrieges im Osten.
Der mörderische und menschenverachtende Umgang des NS-Regimes mit Kriegsgefangenen der Roten Armee wird auch in einer bislang unbekannten Fotoserie deutlich, die Ende des letzten Jahres im Archiv des VVN-BdA Leipzig e. V. (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) wieder entdeckt wurde.
Im September 2020 machten die langjährigen ehrenamtlichen Archivmitarbeiter*innen Ursel Olaru und Johannes Thurm die neu zusammengefundene Archiv-AG des Leipziger Stadtverbandes bei der Sichtung des Vereinsarchivs auf einen unscheinbaren Briefumschlag aufmerksam. Darin fand die Gruppe über 70 historische Fotos aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain. Neben den Abzügen enthielt der Umschlag einen Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 25. Juni 1946 mit der Überschrift „Massengräber in den Wäldern bei Zeithain“ mit Bildern aus dem Lager. Es lag außerdem noch ein Flugblatt bei, das mit Fotos aus dem Umschlag unter der Überschrift „Aus den Gräber steigt die Wahrheit“ um Zustimmung für das „Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ warb. In der ersten direktdemokratischen Entscheidung in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stimmten die Sachsen am 30. Juni 1946 per Volksentscheid der entschädigungslosen Enteignung von Großgrundbesitzern, Kriegsverbrechern und aktiven Nationalsozialisten zu.
Vorstandsmitglied Daniela Schmohl informierte die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, die die Vermutung, dass es sich um Aufnahmen aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain handelt, bestätigte.
Der Leiter der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain Jens Nagel fasst die Bedeutung der Fotografien zusammen: „Bald 80 Jahre nach Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion zeigen die aufgefundenen Erinnerungsfotos ehemaliger Wachsoldaten aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain erneut deren mitleidslosen Blick auf die sowjetischen Kriegsgefangenen und ihr Massensterben infolge von Hunger, Krankheiten und Gewalt mitten in Deutschland. Die Fotos verdeutlichen, dass diese Verbrechen kollektiv und visuell erinnert wurden und nicht nur fern der Heimat geschahen.“
Für die Forschungs- und Dokumentationsarbeit der Gedenkstätte sind die Aufnahmen wichtig und aufschlussreich. Nachdem die Mitarbeiter der Gedenkstätte im Januar alle Fotos und das Flugblatt sichten konnten, wird eine offizielle Übergabe an das Archiv der Gedenkstätte angestrebt. Allerdings fehlt bisher eine Provenienzangabe oder eine Korrespondenz des Vereins VVN-BdA zur Frage, wie die Fotos ins Leipziger Archiv gelangten.
Nach Feststellung der Gedenkstätte Ehrenhain-Zeithain ist unstrittig, dass die Fotos von Wachsoldaten aufgenommen wurden. Mutmaßlich wurden die Aufnahmen im Rahmen der 1946 begonnen und von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) initiierten Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen in Zeithain bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt. Die Frage, wie die Fotos dann von der sächsischen Polizei zur VVN-BdA gelangten, gilt es nun zusammen mit dem Leipziger Stadtverband zu klären.
Daniela Schmohl stellt fest: „Der Fund zeigt eindrucksvoll, welchen hohen Stellenwert auch kleine Sammlungen und Archive haben können. Umso wichtiger ist ihr Erhalt und ihre Sicherung für die historisch-politische Bildungsarbeit. Wir möchten daher unsere Mitglieder aber auch alle anderen Unterstützer*innen bitten, die Augen nach Dokumenten, seien es Fotos oder schriftliche Zeugnisse aus der NS-Zeit, offen zu halten. Diese Unterlagen durch Abgabe in Archive zu bewahren und für Forschungs- und Vermittlungsarbeit zugänglich zu machen, ist uns ein wichtiges Anliegen.“